Ist Dorf Wars – wie die Trippers glauben – tatsächlich die unbeschwerliche, heitere Superhelden-Komödie, für die sie sich ausgibt? Nicht nur! Unterschwellig geht es um Potenzprobleme, David Hasselhoff und Abstiegsangst.
Der Schein trügt
Zunächst scheint auch alles ganz einfach und klar zu sein: Ein Dorf wird zwecks Aneignung von Rohstoffen und Energiequellen überfallen und die Einwohner verteidigen es mit ihren ureigenen Mitteln, gegen die der Aggressor nichts auszurichten vermag – eine heutzutage bekannte Konstellation, wie sie analog etwa im von den USA besetzten Irak zu besichtigen ist.
Man kann dem vorliegenden Film in seiner Spezifität aber keinesfalls gerecht werden, wollte man ihn auf seinen Plot reduzieren. Das besondere Interesse dieser Betrachtung gilt daher der Verfassung der Dorfbewohner und der Gemeinschaft. Wer sind diese Grönauer und wer wären sie gern? Welche Ängste und Sehnsüchte teilen sie? Wogegen verteidigen sie sich? Zuletzt aber auch: Was wird aus dieser Dorfgemeinschaft werden?
Nur eines sei vorweggenommen: Um die Zukunft dieses Dorfes ist es nicht gut bestellt, denn der jetzt noch heiter zelebrierte Alkoholismus zeitigt bereits verheerende Spuren: Impotenz und Kinderlosigkeit.
Ankunft im Dorf
Also begeben wir uns noch einmal zurück in dieses Dorf. So weit zurück, dass wir es wieder vor uns sehen, wie wir es einstmals, noch vor der Invasion vorfanden. Was haben wir damals eigentlich gesehen?
Dort sind Männer, die Alkohol trinken, die meisten reichlich und gesellig, der eine allein und vollends maßlos. Diese Männer sprechen wenig mit ihren Frauen und reden sich angesichts ihrer Sprachlosigkeit und sexuellen Frustration das Leben im Kreise der „Kumpels“ vorm Grill schön. Es scheinen alle Bewohner mehr oder weniger unter dieser seltsamen, sexuellen Ermattung zu leiden, denn wie sonst ließe sich das entmutigte, kollektive Seufzen erklären, nachdem der Magier Alcopop eröffnet hat, dass sein Zaubertrank keineswegs auch die sexuelle Potenz der einstigen Superhelden zurückbrächte.
Das Haus Hartsen bildet schließlich das Zentrum der sexuellen Unlust im Dorf. Der von der Dorfgemeinschaft zwar immer noch mit einer gewissen Nachsicht ausgelachte, jedoch bereits ausgeschlossen erscheinende Alkoholiker und Dorf-Sheriff Hardy Hartsen zeigt weder an Hildes explizitem Beischlafwunsch noch an ihren Reintegrationsbemühungen – sie würde gern einen geselligen Abend mit den Köms arrangieren – das erhoffte Interesse. So kann die bleierne Statik mit ihren immergleichen Praktiken der Arbeit und der Zerstreuung, die das Dasein in Grönau prägen, nicht über die drohende Dynamik des Abstiegs im Hause Hartsen hinwegtäuschen.
Hieraus ergibt sich dann auch das eigentliche Thema des Films: Es geht um nichts anderes, als um die Rückholung des abtrünnigen Hardy Hartsen zurück ins schematisierte Leben einer repressiven Gesellschaft, die dem Alkoholiker Hartsen genau dasjenige Quantum Selbstdisziplinierung abnötigt, dessen es zur mannhaft-tapferen, kollektiven Selbstverleugnung bedarf. Denn was ist Hartsens Alkoholismus anderes als der Fluchtversuch des Ordnungshüters vor der unerträglichen Ordnung und ausweglosen Beschaulichkeit seiner Lebenswelt? Doch schon bald wird er sich auf einer kathartischen Mission gegen eine außerirdische Macht befinden, deren erfolgreicher Ausgang sich letztlich dem Zusammenhalt der Gemeinschaft verdankt, und die somit insgeheim als eine moralinsaure Lehrstunde herhalten muss, um dem Abtrünnigen noch einmal Vorzüge und Unumgänglichkeit der Integration im entsexualisierten, mäßig trinkenden Kollektiv zu demonstrieren.
Nicht zufällig scheinen die anderen Mitglieder der Dorfgemeinschaft auch nicht gänzlich auf den alkoholischen Rausch, der ihnen das entfremdete Dasein erträglich macht, verzichten zu können.
Vielmehr diente der Alkoholiker Hartsen den Bewohnern mit seinem betont offensichtlichen Alkoholismus als Abgrenzungspunkt, Legitimationsprinzip und Maskerade ihrer eigenen Alkoholsucht, die erst im Gegensatz zu derjenigen Hartsens nicht mehr pathologisch erscheint, obgleich die Übergänge fließend und instabil sind. Auch Hardy dient wie der im vorliegenden Film oftmals referenzierte „Dittsche“ als eine Folie, von der sich der Rest positiv abheben kann.
Der doppelte Abschied von der Kindheit
Als zweites großes Thema zieht sich das Erwachsenwerden durch den Film. Diejenigen Dorfbewohner, auf die der Film sich konzentriert, waren einst Superhelden und befinden sich nun im (Superhelden-)Ruhestand. Dabei mag das Ablegen und der Verlust der durch Machtfülle gekennzeichneten Superhelden-Identitäten nicht unmaßgeblich zur sexuellen Ermüdung beigetragen haben. Zugleich ist der Ruhestand hier eine Metapher für den Abschied von der eigenen Kindheit und Jugend, zumal Superhelden ein infantiles Prinzip verkörpern, das tatsächlicher Reife, die mit Einsicht in die eigene Unzulänglichkeit einhergeht, sowie überhaupt jeglicher Form von ernsthafter Reflexion entgegensteht.
Doch dieser Abschied von der eigenen Kindheit ist nicht komplett vollzogen, insofern die Bewohner ihrerseits noch nicht zu Eltern geworden sind. In Groß Grönau scheint es tatsächlich weit und breit keine Kinder zu geben, was einem zweiten Abschied von Kindheit gleichkommt, wenn auch diesmal nicht von der eigenen, sondern von der einer ganzen Nachfolgegeneration.
Somit ist die Flucht der Ex-Superhelden in eine starre Alltagswelt nur die Imitation von Erwachsenenleben, zumal die traditionelle Reproduktion keinen Platz im Lebenslauf gefunden hat. Zudem zeigt der durch die Bedrohung der Gemeinschaft motivierte Rückfall ins infantil markierte Superheldentum die Brüchigkeit des Erwachsenseins und dessen bloße Oberflächenhaftigkeit auf. Auch geschieht die Reaktivierung der Superhelden, wie schon bezüglich der Alcopop-Szene erwähnt, ohne eine begleitende sexuelle Ermächtigung.
Die Bedrohung
Der Dittschperator, der das Dorf Groß Grönau bedroht, ist einerseits ein Zerrbild der Grönauer selbst: Er zeichnet sich nicht nur durch schlechtes Benehmen aus (z. B. Rülpsen), sondern ist zudem ebenfalls starker Alkoholiker und durch Infantilität gekennzeichnet, die sich in Form kindisch-trotziger Allmachtsphantasien manifestiert. Er wäre, wie viele Grönauer selbst, auch gern (wieder) ein Superheld. Das Bemerkenswerte an dieser Konstellation besteht darin, dass im Kontext eskapistischer Erzählungen der Weltraum stets als utopischer Ort vermutet wird, an dem auch das radikal Andere, also die Transzendenz des Bestehenden Raum findet. Durch die Verortung eines verzerrten Spiegelbildes des Irdischen im Weltraum wird jedoch auch diese letzte Hoffnung, dass es wenigstens irgendwo da draußen einen Ort der Utopie, des besseren Daseins gäbe, enttäuscht.
Andererseits fungiert der Dittschperator, der die ins Extreme gesteigerten Charaktereigenschaften der Grönauer auf sich vereint, als Projektion ihrer uneingestandenen Ängste. Diese These fußt auf der Annahme, dass eine Bedrohung die Vergegenständlichung oder zumindest Versinnbildlichung unbewusster Ängste sein kann. Demzufolge lässt eine Analyse der spezifischen Charakteristika einer Bedrohung Rückschlüsse auf diejenigen zu, die sich bedroht fühlen. Wenn in Dorf Wars die Bedrohung also durch das Dittschperium verkörpert wird, stellt das Dittschperium also genau das dar, wovor sich die Grönauer fürchten und was sie zugleich verdrängen. Nachfolgend werden vier auf diesen Prämissen basierende Rückschlüsse über die Ängste der Grönauer vorgestellt, die sich zugegebenermaßen nicht direkt äußern, sondern nur indirekt von den als bedrohlich empfundenen Gegenständen abgeleitet werden.
- Zuerst gerät die verdrängte Befürchtung der Grönauer, an Alkoholismus zu erkranken, in den Blick, die sich aus der Ausgestaltung der Figur des Dittschperators ableiten lässt, der die Folgen dieser zerrüttenden Krankheit darstellt, nämlich ein fahler Teint, Fahrigkeit und ein cholerisches, trotziges Gemüt.
- Die Charakterisierung des Dittschperators als vollends infantil-alberne Figur verweist auf die Angst der Grönauer, hinter der Maskerade des Erwachsenseins dennoch als infantil erkannt und nicht ernst genommen zu werden, wie auch der Dittschperator von seinem Personal scheinbar nicht immer für ganz zurechnungsfähig erachtet wird.
- Die Grönauer scheinen trotz der Beschaulichkeit ihres Daseins einer Angst vor Konventionalität, Rückwärtsgewandtheit und dem Abrutschen ins Spießertum ausgesetzt. Dies lässt sich von der scheußlichen Ästhetik der Kontrollbrücke des Raumschiffs ableiten, die wie ein alter Partykeller aussieht, der das rustikal-biedere Gegenteil jener Lounge-Ästhetik der Generation „Milchkaffee“ markiert, deren penibler Schematismus bereits eine neue Ausgestaltung von Spießigkeit verkündet.
- Zu guter Letzt kommt angesichts der phallischen Invasionsmacht die Angst der Grönauer vor dem unvermeidlichen Eingeständnis der eigenen Impotenz hinzu, mit der sich Hardy Hartsen stellvertretend für alle männlichen Dorfbewohner auseinandersetzt. Im Kampf gegen Darth Perlt gelingt es Hardy, mit seinem symbolischen Phallus-Ersatz (dem beeindruckend ausfahrenden Lichtschwert) die Hoden seines Gegners zu ruinieren, so dass kein konkurrierender Phallus mehr an seine Impotenz gemahnt, was insofern für die Selbst-Beschwichtigung essentiell ist, da alternativ im gesamten Film keine Lösung angeboten wird, wie zu neuer sexueller Potenz zu gelangen wäre.
In diesem Zusammenhang sei ferner darauf verwiesen, dass Invasionsszenarien im Film meist politisch oder sexuell gedeutet werden können. In der bezüglich Dorf Wars äußerst plausiblen sexuellen Lesart kommt die Invasion einer Penetration gleich, die durch die phallischen Transportstrahlen, die in den Ort eindringen und ihm sogar Hilde entreißen, symbolisiert wird. Es wundert daher nicht, dass ausgerechnet Hardy die (auch politisch gesehen) fremde, phallische Macht schlagen muss und dass er es auch ist, der die Verteidigung initiiert und koordiniert, zumal er die höchsten Verluste zu erleiden hätte: unwidersprochene sexuelle Demütigung seitens der phallisch überlegenen Eindringlinge, Verlust des letzten, ihn treuherzig duldenden Menschen (Hilde) und Verlust seines letzten Zufluchtsortes, dem Alkohol.
Die Analyse der Bedrohung verdeutlicht, dass es in Dorf Wars neben Impotenz auch um die Abrechnung mit der infantilen Superheldenidentität geht, die paradoxerweise noch einmal ausgelebt werden darf, indem zugleich gegen ihre übersteigerte, vom Dittschperator verkörperte Form gekämpft wird. Somit wird dem eigenen Dämon, nämlich Unreife und Suchtverhalten, gegenüber getreten, damit aber, indem der Alkoholraub verhindert wird, zugleich auch der eigene Status Quo verteidigt.
Die Sieges(f…)eier
Wie aber hat sich dieses Dorf samt seiner Einwohner nach der erfolgreich zurückgeschlagenen Invasion verändert? Oder sind gar Ausgangssituation und das happy ending weitgehend identisch?
Die Siegesfeier zeigt, dass Hardy Hartsen weiterhin Bier trinkt, wenn auch diesmal legitimiert durch die feierliche Rahmung. Außerdem ist er als Retter erfolgreich in die Mitte der Dorfgemeinschaft zurückgekehrt. Es bleibt aber fraglich, ob man nun auf einen gezügelten Alkoholkonsum seinerseits hoffen darf, oder aber ob er der Gemeinschaft nunmehr als abschreckendes Mahnmal fehlt, was einen Absturz aller Einwohner in uferloses Trinken nach sich ziehen könnte.
Ist der Fortgang des Trinkens auch ungewiss, so scheint sich die sexuelle Selbstverleugnung erwartungsgemäß nahtlos fortzusetzen. Dem widerspricht zunächst allerdings eine erste, in die Irre führende Andeutung, die sich aus der Art ergibt, wie der Schriftzug „Siegesfeier“ eingeblendet wird: Die Buchstaben erscheinen nacheinander wie mit einer Schreibmaschine getippt und ergeben zunächst das Wort „Siegeseier“ – hier eindeutig sexuell konnotiert und nicht das Nahrungsmittel betreffend. Es fehlt also das „f“, das wiederum auf das „f-word“, sprich „ficken“ verweist. Nun wird sogleich die Einblendung korrigiert und das fehlende „f“ eingefügt: Alle Zeichen stehen also auf ausdauerndes F… im Rahmen einer orgiastischen Siegesfeier. Doch weit gefehlt: Hardy soll eben nicht Hildes Märchenprinz – eine üblicherweise als sexuell fordernd konnotierte Figur – werden, sondern lediglich neue Unterwäsche kaufen, die aber wieder der Verhüllung des nackten Leibes dient, um somit die oberflächliche Ordnung und Reinheit des ehemals verlotterten Dorf-Sheriffs wiederherzustellen. Auch dies impliziert sexuelle Inaktivität, zumal reinliche, weiße Kleidung oft Unschuld und das Anlegen solcher Kleidung oftmals Reinigung von Schuld symbolisiert.
Hardy hat sich (und mit ihm wohl auch Hilde) weder von der sexuellen Frustration noch aus dem starren, verdrießenden Mechanismus der Dorfgemeinschaft befreien können. Im Gegenteil ist er mehr denn je einer von ihnen. David Hasselhoff kann ein Lied von dieser nicht endenden Suche nach Freiheit singen und der disc jockey auf der Siegesfeier lässt ihn auch gewähren:*
I’ve been looking for freedom
I’ve been looking so long
I’ve been looking for freedom
still the search goes on
Suggeriert hier das Andauern der Freiheitssuche noch deren Erfolgspotential, spricht der zweite Refrain schon eine andere Sprache, wonach es Freiheit selbst außerhalb des Heimatortes schwerlich geben wird:
since I left my hometown
I’ve been looking for freedom
still it can’t be found
Weder in Grönau noch anderswo ist Freiheit zu finden, weder mit den alten noch mit künftigen Lebenspartnern wird es sexuelle Erfüllung geben, was vermutlich auch Hardy und Hilde ahnen und sich daher ihrem Schicksal fügen.
Fazit
Der Angriff auf Grönau hat die Grönauer wesentlich unverändert gelassen. Gefeiert wird mit David Hasselhoff, dass eine Befreiung erwiesenermaßen nicht möglich ist, man also frisch legitimiert in den althergebrachten Routinen fortexistieren darf, dass also alles wieder so wie vorher ist und zumindest der Alkohol als Zufluchtsort niemals ausgehen wird. Da auch kein Aufflammen partnerschaftlicher Sexualkontakte in Aussicht gestellt wird, bleibt die Frage, für wen die Neubaugebiete auf der verbrannten Erde des Nachbardorfs Groß Sarau gut sein sollen, da es ohne den Vollzug des Sexualaktes nicht die leiseste Hoffnung auf Nachwuchs gibt, der in den neuen Gebieten vielleicht einmal siedeln würde.
Mit Dorf Wars gelingt es den Machern, in unaufdringlicher Art und Weise die als filmischen Heimatpop verpackten Innenansichten einer fortdauernden Selbstverleugnung auf die Leinwand zu bringen und doch für unbeschwertes Amüsement zu sorgen, das sich weitgehend daraus generiert, dass sich der Zuschauer mit all seinen Sehnsüchten, Ängsten und Problemlösungsstrategien – liebevoll und äußerst unterhaltsam verballhornt – schmunzelnd wiedererkennt.
* Dieses Lied wird nur in einer ersten, unveröffentlicht gebliebenen Schnittfassung eingespielt.
Dorf Wars – Angriff auf Grönau (D 2006), Produktion: Greenfield Studios, Länge: 58 Minuten, Weltpremiere: 21.12.2006. www.dorfwars.de